Katalogtext von Hannah Stegmayer zu “Schassvampir”

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Alles eine Frage der Größenverhältnisse?

„Die Kunst nicht mit seiner Kunstfertigkeit zu belästigen," das ist ein hoher Anspruch in der Gegenwartsmalerei, deren Tendenz, wenn sie die größte Zustimmung eines Publikums anstrebt, wieder geradlinig auf gegenständliche Malerei zusteuert. Von Jonathan Meese stammt diese Formulierung, die genauso gut auf Ronald Kodritsch zutrifft, der zwar genügend Kunstfertigkeit besitzt, sie aber gerade deshalb großzügig herunter spielen kann und noch in der abgelegensten Formulierung und abwegigsten Idee eine zeichnerische oder malerische Qualität zustande bringt, die mit herkömmlichen Kategorien nicht zu beschreiben ist.

Möchte man diesem Phänomen auf den Grund gehen, muss man sich mit den Bildthemen, der Form, wie sie behandelt werden, dem damit verbundenen Unterlaufen von Sinn und Bedeutung, der Reflexion von Malerei und ihrem Sprechcharakter auseinandersetzen und wird vor den Arbeiten des Ronald Kodritsch sehr schnell auf die Formel zurückgestutzt: Malerei ist gleich Farbe, sie besteht aus dem Verhältnis von Gegenstand und Grund und nutzt die verschiedenen Formate, um Pathos oder dessen Gegenteil, den Witz zu erzeugen.

Zunächst sind es die Themen, die Ronald Kodritschs Malerei zu außergewöhnlichen Arbeiten machen, die zwischen Humor und Klage ein Drittes heraufbeschwören: den Sarkasmus. Hier reiht sich Kodritsch in die lange Serie scharf sehender und deutlich formulierender österreichischer Künstler. Gerhard Rühm gehört zu ihnen, wie Günter Brus, von dessen Exilzeitschrift „Die Schasstrommel" eine Arbeit ihren Titel „Schassvampir" entlehnt.
Als genauem Beobachter drängen sich ihm die Themen auf, an denen man als Bild erzeugender Maler wohl nicht vorbei kommt. Sie sind alltäglich, aber deswegen nicht banal, wie der an einem Baum Erhängte, sind politisch, wie der Unfallwagen Jörg Haiders, der als Ikone inszeniert zentral auf dem Bildgrund der österreichischen Flagge sitzt oder komisch wie die ungleiche Begegnung von Bär und Frau. Naivität trifft hier auf Raffinesse, und die ungleichen Paare können es wohl nicht wirklich miteinander.

Durch dieses Aufeinandertreffen ungleicher Dinge werden sie entweder verstärkt oder entschärft, wie im Falle Batmans, der nur auf einem übergroßen Sockel stehend an Größe gewinnt. Seine Arme versuchen dabei, nach überdimensionalen Brüsten zu greifen, die aber, aus dem gleichen Formrepertoire wie der Fledermausflügel entwickelt, kaum als solche erkennbar sind.

Auffallend ist das vielfältige Spektrum der zitierten Genres, deren Stilebenen den größt möglichen Unterschied repräsentieren, um in seinen Bildern als gleichwertig nebeneinander zu stehen. Eine Quelle scheint dabei der Comic, dessen Reiz die Verknappung und damit Überspitzung komplexer Umstände ermöglicht. Hier gelangt Ronald Kodritsch von der Verkürzung zum Kürzel, das sich kaum noch reduzieren lässt. Batman ist ein Bespiel für diese wieder erkennbare Reduktion, deren Abstraktion auf das Wesentliche konzentriert eine prompte Wirkung auf den Betrachter hat. Die überraschende Wende, ein Mittel des Malers: Batman trifft auf ein zweites Exemplar seiner Spezies und dies bei einer Begegnung downtown.

Ein wenig exhibitionistisch, pornographisch oder nur das Wesentliche treffend? Ronald Kodritsch begibt sich zum Kern der Dinge, unter die Oberfläche der gesellschaftlichen Gepflogenheiten und berührt Tabus. Nicht alles schmeckt daher gewohnt, und schließlich zielt er auf unsere Gewohnheiten und trifft. Der Penis wird zur Hand, der Zopf wird zur Fessel, das Porträt wird zum Comic, und die Bedeutung der Dinge verschiebt sich nur gering, um völlig neu vor den Betrachter zu treten.

Wenn Ronald Kodritsch Batman auf Blondie treffen lässt, tut er das auf verblüffende Weise. Der erigierte Penis ist als Frau präpariert, mit Gesicht und Haar, so dass Ziel und Grund der Begierde in eins verschmelzen. Und der Held schaut auf seine Blöße, die trotz imposantem Format zur Marionette wird. Der Mond darüber wird zur Sprechblase, leer, weil sich nichts mehr dazu sagen lässt.

Ein immer wiederkehrendes Thema seiner Malerei ist das Verhältnis von Form zu Grund. In der Serie der Skispringer findet man eine fast monochrome Farbfläche, auf der das Motiv beinahe verschwindet, so klein ist es. Der Skispringer, von allen Seiten und in allen Positionen, fliegt immer vereinzelt vor einem blauen Himmelsstück, und erzeugt wechselnde Gefühle: Freiheit geht über in eine Angst vor dem Wagnis und Risiko, das kleine Format transportiert Hilflosigkeit aber auch die Lächerlichkeit der Existenz. Allein die Größenverhältnisse des Dargestellten erzeugen diesen Effekt.

Dieses Prinzip lässt sich in verschiedenen Ausformungen bei Ronald Kodritsch beobachten. Banale Dinge werden groß inszeniert, dadurch entsteht ein ironisches Spiel, das auf der Verwechslung von Bedeutungsgrößen basiert, wie die 1,40 Meter große Karottenrakete zeigt. Oder die flache Leinwand wird zum Bildraum, wenn ein winziges Känguruh eine übergroße Zucchini fixiert, was nur möglich ist, wenn das Tier sich, entgegen dem Dargestellten, in weiter Ferne befindet.
Während banale Dinge groß inszeniert werden, tauchen große Themen, das Motiv des Erhängten etwa, in beinahe miniaturhaftem Format auf, als wären sie zu intim, um groß aufgeblasen vor den Betrachter gebracht zu werden. Auch die verschiedenen Formate der Leinwände spielen also mit der Bedeutungsgröße. Und hier hat der Maler ein ungeheures Gespür für die Wirkung dieser Bildmittel, die sehr sensibel eingesetzt werden.

Ronald Kodritsch erweist sich damit als Künstler, der den Wechsel der Formate, Stilebenen und künstlerischen Medien intensiv nutzt, um schließlich zu einer Übereinstimmung von Form und Inhalt zu kommen, die außergewöhnlich ist und den jeweiligen Medien entsprechend, die er alle braucht, um sich seinen Themen mit den jeweils dafür geeigneten Mitteln zu nähern. Seine Zeichnungen sind mit wenigen Strichen auf den Punkt gebracht, die Malerei spielt offen und frei großzügig mit ihren Mitteln. Die Bildinhalte treffen den Betrachter, der nicht ungerührt bleibt.
Malerei ist bei ihm immer als solche erkennbar, hält sich in Bewegung, wird nicht umgebracht durch die tödliche Starrheit endgültiger Überarbeitung.

Als Maler interessieren Kodritsch die Kunstgeschichte, Malerei und ihre Mittel. „The making of socks" ironisiert den Malprozess, indem die Palette der verwendeten Farben im Bild sitzt, und alles ist klar: Kunst kommt aus der Farbtube, daraus soll kein Geheimnis gemacht werden. Sigmar Polke machte höhere Mächte für seine Bilder verantwortlich, Kodritsch setzt dieses Spiel fort.
Dazu nutzt er Texte, die in den Bildern auftauchen, einmal als einzige Bildaussage: „We drank a lot but we didn´t famous yet", heißt es auf einer der Arbeiten. Oder der Text ist eine Inschrift bzw. Beschriftung von Bildgegenständen. „Brot, Wein, Milch, Eier, Käse" steht auf dem Körper einer unvollständig gemalten nackten Frau. Entweder nutzt er die Leinwand hier als Einkaufszettel, oder aber er signalisiert damit die Liste der notwendigen Lebensmittel, zu denen eben auch Eros und Lust gehören.

Jasper Johns ist in den Flaggenbildern präsent, aber auch sein Herkunftsland Österreich, das ihm so viele Anregungen geradezu aufdrängt.
Provokation und Resignation sind dabei schwer auseinander zu halten. Während ein neues großes Flaggenbild den Unfallwagen Jörg Haiders – Phaeton, den Grenzen überschreitenden Mythos – in Szene setzt, zeigt eine Serie kleinformatiger Bilder den Tod als unspektakuläres Ereignis: erhängte Vögel und daneben in gleicher Pose ein erhängter Mann, mit erigiertem Penis als letztes biologisches Wunder vor dem endgültigen Tod.

Als Uschi Glas das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen wird, protestiert er zusammen mit Georg Pruscha, verkleidet als Horst Tappert und Pierre Brice. Provokation oder Resignation? Ronald Kodritsch hat die richtigen Mittel gefunden, um mit diesen Phänomenen umzugehen, er übersetzt sie in die Kunst.
Dass gerade jetzt seine Skulptur „Reason to believe" in Wien aufgestellt wurde, ist kein Zufall. Am Getreidemarkt steht eine männliche Figur mit maßgeschneidertem Anzug und Aktenkoffer gefährlich schräg auf dem Dachgesims eines Hochhauses, auf der Kippe sozusagen.

Ronald Kodritsch, der sich als Künstler gern inszeniert, wohl um sich dahinter als Mensch zu verbergen, findet genügend Motive, aber die Übersetzung ins Bild geht über das bloße Abbilden hinaus. Wesentliches Merkmal seiner Arbeit ist der Einfall, der seit je ein knappes Gut darstellt. Bei ihm scheint dieses schöpferische Kapital reichlich vorhanden, und es entstehen immer wieder neue und erstaunliche Fügungen, die einer seltenen Gabe entspringen. „Manchmal fühl ich mich eher wie ein Schriftsteller," ein von ihm verwendeter Bildtitel, ist dafür ein gutes Bild: Sprache und Bild gehen bei ihm eng zusammen und befruchten sich gegenseitig, so dass eines aus dem anderen schöpft. Wie könnte hier ein Stillstand entstehen?

Hannah Stegmayer unter Verwendung von Texten Benedikt Stegmayers

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