Andreas Spiegl – “Disparat und Despair” (Deutsch)

Disparat und Despair
Von Andreas Spiegl

Man hat sich daran gewöhnt zu lesen, wie Kunst die Welt verändern, neue
Sichtweisen ermöglichen, ja prägen und überraschen kann, indem sie
Unvorstellbares und Neues vor Augen führt. Eingeschrieben ist dieser Lektüre die
Erwartungshaltung, dass die Welt dann anders aussehen würde – gewissermaßen
korrigiert durch einen Kunstbegriff, der dafür einstehen sollte, zumindest
Vorstellungen von Veränderbarkeit am Leben zu halten. Nicht zu übersehen ist aus
dieser Perspektive ein Anspruch auf Differenz zum Status quo, auf einen
Unterschied, der die Kunst von der Welt trennt, ein Abstand, aus dem sich auch
Kritikfähigkeit nähren und entwickeln könnte. Avantgardistisch und modern war das
Bild einer vorauseilenden Kunst, die schon einen Horizont skizzierte, auf den sich die
Kultur des Alltäglichen noch zubewegen oder davor gewarnt werden sollte – begleitet
vom Eindruck der Verspätung und den Versuchen, sich die künstlerischen
Neuerungen im Sinne der Kritikfähigkeit dienstbar zu machen. Die Zeit, in der sich
Ronald Kodritsch der Kunst zuwandte, sich dazu entschloss, selbst Künstler zu
werden, war geprägt von einer Krise dieses Kunstbegriffs, getragen von einer
postmodernen Skepsis ob der Haltbarkeit dieses Anspruchs auf eine Veränderbarkeit
der Welt durch Fortschritt und Kunst. Statt dem modernistischen Appell einer
Ästhetik des Innovativen zu folgen, galt die Erneuerung einer Änderung des
Veränderungsdiktums selbst: Der Begriff des Aktuellen emanzipierte sich von einer
Chronologie des Innovativen, um einer Hybridisierung des Gegenwartsbegriffs Raum
zu schaffen. Damit öffnete sich der Blick für ein Nebeneinander heterogener
kultureller oder historischer Motive, die trotz ihrer vormaligen Widersprüchlichkeit und
Inkohärenz plötzlich miteinander in Beziehung gebracht werden konnten – aber nicht,
um einer weltumfassenden Synthese das Wort zu reden, sondern um das Disparate
selbst als Prinzip zu etablieren. In diesem Sinne liefert das Disparate die Koordinaten
für den kulturellen Kontext, aus und in dem sich die künstlerische Praxis von Ronald
Kodritsch entwickelt hat.
Blickt man auf das Spektrum der verschiedenen Genres und Medien von Kodritsch,
so scheint es doch die Malerei zu sein, die sein wesentliches Metier darstellt. Gerade
die Malerei, die in den turbulenten Forderungen nach Neuem immer wieder für tot
und zu Ende erklärt wurde, lieferte die paradoxe Möglichkeit, an einem vermeintlich
überholten Genre festzuhalten, ja vielleicht sogar an der Vorstellung eines guten
Bildes oder einer guten Malerei, um diesen zugleich ein Motiv einzuschreiben und
entgegenzusetzen, das der Widersprüchlichkeit und Ironie verpflichtet war: Gute
Malerei und zugleich ein verstörend sexistisches Motiv wie die »Bikinimädchen« mit
ausufernden Schamhaarphantasien des männlichen Malers, eine profunde
malerische Qualität im Antlitz von Hundeköpfen mit anthropomorphen Haartrachten
zu »Bastards« vereint oder ein malerisches Spektrum hochkomplexer
Farbnuancierungen und spannungsreicher Kompositionen trifft auf die Ikone
sesshafter Kulturen: den Traktor mit dickbäuchigem Fahrer und Hut. Wenn dieser
Traktor im Verhältnis zum Körper auch noch assoziativ an das Echo
phallozentrischer Motivzuschreibungen denken lässt – an den Traktor, der dem
Fahrer »steht«, dann ist das Spiel zwischen dem Geschmack an guter Malerei und
sexistischen Assoziationsketten eröffnet. Das gute gemalte Bild vermittelt sich
zugleich als Herausforderung – als Testbild, das die Konvention einer Geschichte
des »guten Geschmacks« mit der Konvention des »moralisch Verdächtigen«
kurzschließt. Die Bilder von Kodritsch verleihen beiden Gehör, verknüpfen sie im
Horizont des Disparaten zu einer Ästhetik des Widerspruchs. Vexierbildartig kippt der
Blick von der komplexen malerischen Struktur in die Banalität des Motivs und von
dort zurück in die Reflexion einer Geschichte der Malerei: Die Referenzen reichen
quer durch die Kunstgeschichte, von der romantischen (Landschafts-)Malerei über
die Geschichte der Abstraktion und den abstrakten Expressionismus über
Kippenberger & Co. bis hin zur Gegenwart. Die – wie am Beispiel der Traktorbilder
gut nachvollziehbare – Struktur eines durchgängigen Bildmotivs öffnet den Blick für
das Nebeneinander variabler malerischer Sprachen und Referenzen. Im
Wiederholen des gleichen Motivs neutralisiert sich selbst dessen Gegenständlichkeit
zur abstrakten Figur. Vom Traktor bleibt dann nur mehr die Kombination aus einer
runden und eckigen Form, die von einer anthropomorphen Figur gesteuert wird. In
der Ausformung der einzelnen Partien entkoppelt sich die malerische Interpretation
vom gegenständlichen Motiv, um sich losgelöst von diesem oder gegen dieses
gewandt als eigengesetzliche Größe in Szene zu setzen. Diese Eigengesetzlichkeit
der Malerei scheint das Disparate zu neutralisieren, sich hinwegzusetzen über den
Widerspruch. Allein der Versuch, das Motiv auszublenden, darüber hinwegzusehen,
hieße auch, das Kolorit von Spiel und Ironie zu übersehen. Was auf dem Spiel steht,
ist gerade das Aufrechterhalten des Disparaten, ein Moment des Zwiefältigen und
des Zweifels. Anstelle den Zweifel zu beseitigen, ihn loszuwerden übers Erhabene
der malerischen Geste, gilt die stete Wiederkehr des Motivs nicht nur der Variabilität
sondern auch einem Insistieren. Im Unterschied zur eingangs erwähnten Suche nach
dem Neuen, aus dessen Perspektive man sich dann einen Schritt weiter wähnte und
kritisch zurückblicken konnte, erscheint hier ein Festhalten am Sowohl-als-auch: an
der Herausforderung, komplexe malerische Qualitäten zu definieren und zugleich der
Banalität ins Auge zu blicken, wenn man soll: das Schönste und das Wissen ums
Banale aneinander zu binden. Daraus stellt sich weniger die Frage nach einem
neuen Bild und neuen Sehgewohnheiten sondern nach einem Blick aufs Disparate
stets aufs Neue: Gelingt es, den Widerspruch je aufs Neue zu erreichen, ihn
aufrechtzuerhalten, zu wiederholen wie die Date Paintings von On Kawara, die
weniger dem Seriellen als der Wiederholung verpflichtet sind: nicht die Suche nach
einem neuen Bild, sondern nach einem Bild stets aufs Neue. In diesem Sinne
vermittelt sich in den verschiedenen Bildern von Kodritsch ein Moment von
Kontinuität, ein Insistieren auf die Intensität des gleichen Anspruchs je aufs Neue.
Die Wahl der verschiedenen malerischen Sprachen und Referenzen liefert nur das
Vokabular für die Variabilität im Rahmen der Dringlichkeit einer täglich
wiederkehrenden Frage. Perspektivisch zielt sie auf ein Plädoyer fürs Disparate, das
sich in der zunehmenden Distanz zwischen der Lust an (malerischer) Komplexität
und an einem Leben jenseits des vermeintlich guten Geschmacks intensiviert, ja so
weit aufschaukelt, um den Widerspruch als verbindendes Motiv in einer Gegenwart
von heute erleben zu können – und darin haben die Bilder von Kodritsch ihr
realistisches Moment, so abstrakt und gegenständlich sie zugleich sind, einen
Bogen, der das Disparate mit einem Hauch von »Despair« verbindet.

stanley-road kodritsch text spiegl
stanley_road_kodritsch_text_spiegl_a

Leave a Reply